Was wir von der Bundesregierung über Leadership (nicht) lernen können

Titelbild des Blogartikels Was wir von der Bundesregierung über Leadership (nicht) lernen können

Veröffentlicht am Mar 5, 2021 von
Ralph Cibis, Punk seit 2016.
Ralphs Fokus liegt auf leadership & purpose.


Was wir von der Bundesregierung über Leadership (nicht) lernen können

Disclaimer: hier geht es nicht um eine politische Meinung, nicht um gut und böse, sondern um Beobachtungen und Perspektive. Hass findet ihr außerhalb dieser Website sicherlich genug im Netz.

März 2020

Ein schönes Gefühl geht durch Deutschland. Die Sicherheit und das Vertrauen, dass unsere Regierung plötzlich agil arbeitet. In kurzen Zyklen wollen sie auf die neue, durchaus komplexe Situation reagieren. Plötzlich rücken parteiliche Befindlichkeiten in den Hintergrund, denn Team Alman ist in Gefahr. Ein Virus bedroht die Kleingartensiedlungen, die Freiheit Treuepunkte gegen Tefalpfannen zu tauschen, den zu 276,34 Prozent planbaren Alltag in dem alles so ist, wie es schon immer war.

Die Welt der sowieso schon agilen Arbeit reagiert mit Home Office. Kleine Stichelei am Rande, aber auch die Berater:innen müssen plötzlich mal ihre Arbeit hinterfragen und sind erstmal weg vom Fenster, bis sie neue Wege gefunden haben werden, Geld in ihre Taschen zu schaufeln. Sorry. Wo war ich? Ach ja... Bundesregierung.

The Good

Das Krisenmanagement 2020 hat echt gut funktioniert, ich war beeindruckt und habe mich sicher gefühlt. Dinge durch Gesetze beschränken, irgendwas verbieten, einfach im Blut der Deutschen verwurzelt. Der Sommer verlief glimpflich, fast so als wäre nie etwas passiert. Ich erinnere mich, wie wir gezittert haben, ob denn unsere Hochzeit stattfinden könne und alles hat geklappt. Es war auch recht schnell klar, dass die dunkle Jahreszeit wieder mehr Infektionsgeschehen mit sich bringen wird und das hat sich am Ende auch bewahrheitet.

Aber kein Problem. Wir hatten ja jetzt etwas Routine den Alltag runterzufahren und zu beschränken - aber du wirst nicht glauben, wie die Situation jetzt aussieht. Vor allem März 2021 hat mich schockiert. No Clickbait.

März 2021

Gebeutelt von Monaten an Winterdunkelheit und angefixt von den ersten Sonnenstrahlen und dem Optimismus des Frühlings war auch für unsere Regierung klar wir müssen schon irgendwie irgendwas öffnen. Und das reine Auf-Zu-Spiel ist ja jetzt in unsere Gene übergegangen und wir sind bereit dafür, wieder ein paar Zuckerbrote entgegenzunehmen als Bevölkerung.

Aber Stopp. Da war ja noch das mit den Impfungen. Ich erinnere mich daran, wie ich meine ersten CureVac-Aktien mit Gewinn verkaufen konnte und danach sogar nochmal die von BioNTech. Und irgendwann ist dann das passiert, was allen Trainee-Projektmanager:innen mal passiert. Man rechnet damit, dass ein Projekt ohne Probleme funktionieren wird. Das zum Tag, unten in der Gischt des Wasserfalls spezifiziert, alles da ist und es losgehen kann. Man rechnet nicht nur mit der Deadline, sondern auch damit, dass alles wie vereinbart funktioniert.

Niemand konnte wissen, dass die Komplexität (vor allem in der Kommunikation) zunimmt, je mehr Teilnehmende involviert sind. Niemand konnte damit rechnen, dass ein Pharmaunternehmen erstmal kapitalistisch ausgerichtet ist. Klar muss die konsumierende Spezies am Leben gehalten werden, aber mit den ganzen Einschränkungen schaffen wir das. Also Impfstoffe verzögert und die Menge auch weniger als erwartet (also halt die Menge, die die Produktionskapazität hergibt, wenn man alle Faktoren in Betracht gezogen hätte Captain Hindsight fliegt weg).

Die agile Regierung

Ich bin mir noch nicht sicher, ob am Ende des Artikels 1-2 Lösungsansätze stehen werden wie üblich. Mal sehen.

Ähnlich wie in jeder agilen Transition passierte auch mit der lieben Bundesregierung das, was mit Vorstandsvolker und Boardbrigitte passiert, wenn ihnen nach dem dritten Design Thinking Workshop das Hirn rausläuft und sie vor lauter Innovation und neuen Impulsen zitternd in Embryonalstellung am Boden liegen. Sie fallen in alte Muster zurück. Statt die Bevölkerung weiterhin hinter dem Purpose - der Bekämpfung unseres gemeinsamen Feindes - zu vereinen und mit einer Vision eines besseren Deutschlands und einer stärkeren EU aus der Krise zu führen, setzen wir wieder auf das Controlling von eindimensionalen KPIs (Inzidenz hust hust). Dabei lernt man doch in der bunten Welt der Leadership, dass KPIs oder z.B. auch monetärer Gewinn lediglich die Ergebnisse sein können, aber niemals eine sinnvolle Daseinsberechtigung.

Die Welt 2021 ist nicht mehr ganz so komplex wie die Welt 2020. Es muss nicht mehr 100% agil geführt werden und auf Sicht gefahren werden. Die Welt 2021 ist kompliziert, denn das new normal hat sich bereits vor Monaten abgezeichnet und man hätte entspannt - aber fokussiert - auch gerne mal wieder alle Eventualitäten in Betracht ziehen und durchplanen können. Stattdessen ist man müde. Man diskutiert stundenlang über Öffnungsschritte, die man am Ende in eine Tabelle und ein 13-Seiten-Pflichtenheft packt. Für dieses perspektivlose Dokument, hätte man sicherlich in jeder Prince2-Schulung vor lauter Schulterklopfen einen Ausflug in die Notaufnahme machen müssen.

Es wirkt etwas weltfremd. Es fühlt sich so an, als wäre die Inzidenzampel dem eigentlichen „warum“ vorgeschaltet. Flackernde rote, gelbe, grüne Lämpchen fesseln unsere Leader:innen und setzen sie in Trance. Obwohl wir aktuell Leadership mehr denn je brauchen. Die Bevölkerung ist frustriert und es leiden nicht nur die Patient:innen und Mitarbeitenden auf Intensivstationen, langsam zieht sich ein Raunen durch den ganzen Raum (was mit der Psyche soll ne Krankheit sein? #okboomer, ja!). Wir benötigen Leadership, die diesen Leuten das Licht aufzeigt, abseits der Inzidenzampel. Und nein, liebe Aluhüte, ich sage nicht, dass wir irgendwas durch die Gegend lockern sollten und uns dann nackt im Acid-Rausch 3 Tage gegenseitig ablecken.

Ich würde mir nur wünschen, dass moderne Leadership - also die Kunst anzuführen und nicht nur Reportings zu kontrollieren - Einzug in unsere Politik hält. Ich wünsche mir, dass an Perspektiven gearbeitet wird, die vielleicht nicht heute, sondern in 5 Wochen relevant sind, aber den Menschen halt geben. Ich wünsche mir, dass wir weg kommen davon blind auf einen KPI zu starren und lieber kommunizieren was sein kann, wenn wir alle an einem Strang ziehen. Ich wünsche mir auch, dass der Bevölkerung weiterhin die Gefahr bewusst ist.

Es ist anstrengend einen ganzheitlichen Blick auf etwas zu haben. Vor allem durchgehend und vor allem dann, wenn links und rechts immer mal wieder neue Feuer aufpoppen. Aber diese Krise zeigt teilweise eben in bester agiler Manier auf, wo die Schwachstellen sind. Wenn ich könnte, würde ich Corona mal eine Retro moderieren lassen, so gut, wie es Probleme aufdeckt. Und liebe Leute, wenn wir diesmal aus der Retro nichts lernen, dann wird uns das nächste Virus wieder f*****. Vielleicht sogar noch heftiger, weil es VIELLEICHT eins sein könnte, dass nicht nur Risikogruppen dahinrafft. Aber gab die letzten 20 Jahre auch kaum Anhaltspunkte sich auf sowas vorzubereiten. (Lest das bitte nochmal mit sarkastischem Unterton).

Die Sache mit dem Finger in der Wunde

Ohne Scheiß. Ich hätte nie gedacht, dass ich am Ende von so einem Artikel mal paar Allgemeinplätzchen schreibe. Aber here we go: Lasst uns dafür sorgen, dass Digitalisierung endlich kein leeres Wort mehr ist. Weder in der Schule, noch an Unis, noch in Regierung oder Wirtschaft. Lasst uns schauen, dass wir bei einer alternden Bevölkerung unser Gesundheitssystem so gut machen, wie es amerikanische YouTuber in Vergleichen zu ihrem System beschreiben. Lasst uns schauen, dass wir andere Baustellen nicht aus den Augen verlieren. Remote Work kann uns helfen, dem Klimawandel zumindest im Kleinen entgegenzuwirken. Dafür können wir alle - wirklich alle - auf’s Maulzerreißen an der Kaffeemaschine verzichten. Bitte.

Lasst uns wegkommen von einem Wir-gegen-ihr, zurück zu einer gesunden Diskussionskultur. Lasst uns auf die Wissenschaft hören, der Wissenschaft aber auch ab und zu mal sagen, dass wir uns dennoch gerne auf dem Festival im Matsch suhlen. Lasst uns miteinander an Nachhaltigkeit, Gesundheit und moderner Infrastruktur arbeiten. Lasst uns die Kupferkabel von Helmut Kohl endlich aus dem Boden reißen und wieder zum Land der Dichtenden und Denkenden (ja - mit Inklusion!) werden. Lasst und von unserem Leadership-Team einfordern, dass wir so geführt werden wollen und wieder ein gutes Beispiel in der Welt werden. Denn schlechte Beispiele gibt’s genug. Because we’re not human enough.

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Endlich mal wieder Flunky Ball im nassen Gras...