Einfache Wahrheiten

Titelbild des Blogartikels Einfache Wahrheiten

Veröffentlicht am Jul 30, 2020 von
Dominic Burucker & Ralph Cibis, Punk seit 2017.
Dominic & Ralphs Fokus liegt auf co-founders of agile punks.


Einfache Wahrheiten

tl;dr: Die tolle Auflistung der einfachen Wahrheiten findet ihr nach dem Prolog.

Prolog: Götterdämmerung

Als wir damit anfingen unsere Erfahrungen in Form von Blogs in die unendlichen Weiten des Internets zu schleudern wurden uns zwei Dinge relativ schnell klar:

  1. Es wird erstmal niemanden interessieren, weil wir kein Geld reinstecken, um die Beiträge nach oben zu spülen.
  2. “Agile” wird sich sehr bald, sehr krasser Kritik stellen müssen. Wenn das passiert wird Agile als gescheitert erklärt werden. Was genauso falsch ist, wie der unreflektierte Umgang mit all den Tools, Buzzwords und Frameworks aus dem agilen Kosmos.

Zum ersten: Das ist halt so, vielleicht müssen wir noch bessere Beiträge schreiben oder länger dabei sein oder andere Plattformen finden.

Zum zweiten: Schon jetzt poppen überall vermehrt Beiträge auf, die erkannt haben wollen, dass agiles Arbeiten gescheitert ist. Entweder sind die Beiträge reine “Rants” oder sie enden mit einem Sales Pitch für eine Alternative. Oder sie erkennen auf einmal, dass sie die Leadership-Riege einer jeden Firma anpeilen müssen, wenn irgendwas in Richtung “agile Transformation whatever” funktionieren soll. Wer hätte gedacht, dass bei der Herstellung von Produkten alle Mitarbeitenden MITARBEITEN müssen? Vor allem die, die Dinge entscheiden?

Sei es wie es sei, unsere Prognose lautet: Bald ist alles mal agile gewesen und am Ende ist nichts mehr agile. Der Begriff wird so weit verwässern und so durchdrungen von verschiedenen Perspektiven und semantischen Deutungen, dass er immer bedeutungsloser wird. Schon jetzt hat er irgendwie “Meme-Status”.

“Aber ist das auch agil?!” ist quasi die sarkastische go-to-Frage auf alles was man als Scrum Master tut.

In solchen Zeiten, in denen Unsicherheit immer stärker um sich greift und die Zukunft mehr als ungewiss ist, gibt es eine Sache die Erleichterung verschafft: Einfache Wahrheiten. Aber Stop - there is a twist! Einfache Wahrheiten sind entweder unglaublich hilfreich weil sie, egal wie unsicher alles ist, einen auf dem “richtigen” Pfad halten können; oder sie sind ziemlich destruktiv weil sie von Populismus nicht mehr zu trennen sind. Juhu! Ein Minenfeld!

Wir versuchen uns mal dran.

Arbeitskultur existiert, auch wenn sie euch egal ist (Dominic)

In der Gamingbranche gibt es etwas, dass allgemein als “Crunch-Time” bekannt ist. Publisher zwingen hierbei ihre Devs zu ausgedehnten Arbeitszeiten die weit über die normale Arbeitszeit hinausgehen. Was folgt sind Stress, psychische Probleme und trotzdem teils fehlerhafte Produkte bzw. massenweise Kündigungen.

Die Publisher selbst würden nie sagen, dass das die “Arbeitskultur” ist, oft wird Crunch-Time verleugnet. Trotzdem ist dieser Zwang Teil der Kultur dort und kommt oft nur durch Berichte von Aussteigern zum Vorschein. Ergo kann man sicher davon ausgehen, dass sich bei den einschlägigen Firmen nicht transparent mit der Kultur beschäftigt wird.

Wie man mit der Arbeit, die getan werden soll, umgeht, wie man das Individuum als Teil der wertschaffenden Gruppe behandelt und worauf in guten aber auch schlechten Zeiten Wert gelegt wird ist in der Summe die vorherrschende Arbeitskultur.

Ein offener und möglichst transparenter Umgang mit der Arbeitskultur ist meiner Meinung nach eine pauschale Empfehlung, die ich unabhängig von Frameworks, agile und co jeder Firma geben würde. Eine gute Arbeitskultur ist das Fundament für langfristig zufriedene Mitarbeitende und für die Bereitschaft die Zukunft, also den Erfolg der Firma mit zu gestalten. Oft fehlt Menschen ohnehin die intrinsische Motivation über den Faktor Geld hinaus. Aber mit einer schlechten Arbeitskultur verscheucht man auch schnell die wenigen initial passionierten Arbeiter.

Wenn niemand sich traut, über die vorherrschende Arbeitskultur zu sprechen, dann kann man für sich selbst recht schnell evaluieren ob sie gut oder schlecht ist.

Agile war schon immer tot (Ralph)

alt text

Achtet auf das große “A”. Ursprünglich eine idealistische Bewegung basierend auf ein paar Grundprinzipien, mittlerweile eine riesige Beratungs- und Zertifizierungsindustrie. Versteht mich hier nicht falsch. Beratung kann Gold wert sein, vor allem, wenn man selbst nicht weiterkommt. Aber man darf nicht vergessen, dass man Berater und Beraterinnen oft nach Aufwand bezahlt und dieses Geschäftsmodell nicht nachhaltig wäre, wenn dadurch wirklich Probleme gelöst würden. “Das skaliert nicht,” wie die Big Four eben sagen würden. Was aber skaliert sind viele neue Zettelchen, zum an-die-Wand-hängen und im-Lebenslauf-ergänzen.

Deswegen aufgepasst: das Agile mit großem A ist meist für’n A****.

Mensch, ärgere dich nicht! (Dominic)

Warum spielen wir immer wieder “Mensch, ärgere dich nicht” obwohl wir verlieren können und obwohl wir uns aufregen? Ganz einfach! Alle spielen nach denselben transparenten, nachvollziehbaren Regeln, alle haben Chancengleichheit.

Was so trivial klingt ist für Organisationen eigentlich essentiell. Trotzdem verstehen oft viele innerhalb der Organisation oder Firma nicht woher die Regeln kommen, wer sie aufstellt, warum sie existieren und ob sie für jeden gleich gelten. Das kreiert Unsicherheit und fördert Aluhut-Theorien. Es erschwert die individuelle Planung der Mitarbeiter und trägt zur “Non-Partizipation” bei.

Erst dann, wenn Richtlinien und Regeln für jeden innerhalb der Organisation gelten, egal wie groß der Verantwortungsbereich, kann auf Basis dieser gemeinsam an der Arbeitskultur und Produktivität gearbeitet werden. Wenn wir als Individuen wissen, dass diese Regeln nicht Teil einer persönlichen Agenda, sondern essentieller Bestandteil einer gemeinsamen Vision sind, auf welche die Firma hinarbeitet, trauen wir uns wirklich konstruktiv Mitzugestalten.

“Was der Organisation gut tut, tut mir gut.” sollten alle Mitarbeitenden im Idealfall als Leitkredo haben. Je freier die Organisation von individuellen Agendas ist, desto höher der Anteil an objektiv guten Entscheidungen für die Organisation.

Manchmal müssen Menschen motzen (Ralph)

Eine tolle Alliteration und eine simple Wahrheit. Manchmal tut es Teammitgliedern einfach gut, Dampf abzulassen. Ein Ventil dafür in Form einer Retrospektive oder eines 1:1-Gesprächs mit einer vertrauten Person können Wunder bewirken.

Es geht nicht immer nur darum, direkt Maßnahmen zu definieren, an die sich in 2 Wochen sowieso niemand erinnert.

Es geht einfach ab und zu auch mal darum so lange nachzubohren, bis der eigentliche Schmerz getroffen wurde und die Person in der Lage ist zu formulieren, was sie eigentlich belastet. Das startet oft gerne als Wutrede über Agile & Co, denn wer hätte das gedacht: ein Teil dieses Vorgehens besteht darin, Probleme aufzudecken. Sobald tiefer gegraben wird, stellt sich aber oftmals heraus, dass das Weini einer Person einen komplett anderen Grund hat. Lasst dem Motzen freien Lauf, am Ende seid ihr schlauer!

Big things have small beginnings. (Dominic)

alt text

Dieses Zitat stammt aus dem Film Prometheus von Ridley Scott. David, ein Androide, der aus Kuriosität mit den Genen seiner menschlichen Crew experimentiert, gibt einem Mitglied eine mikroskopische Probe eines Pathogens, das zu starken Mutationen führt. Am Ende hatte sich das Crewmitglied komplett verändert, sowohl physisch als auch psychisch. Ich gehe mal davon aus, so etwas passiert in der durchschnittlichen Firma eher weniger (Stand 2020), aber die grundsätzliche Message bleibt: Mikro-Veränderungen führen irgendwann zu Makro-Veränderungen.

Wenn agile Frameworks oder Organisationsänderungen eingeführt werden, dann oft in einer großen Ankündigung, anbei eine Menge Präsentationen und eine Menge Erwartungen. Die Erwartungshaltung ist dann oft nicht nur überfordernd, sondern im worst-case paralysierend. Dieser lawinenartige Ansatz begräbt dann meist alles, was ursprünglich erreicht werden sollte und ergibt am Ende einen Schwebezustand, der undefinierbar - vielleicht schlechter, vielleicht besser - ist. Niemand ist sich sicher, was gerade passiert und alles fühlt sich erzwungen an.

Daher meine einfache Wahrheit: kleine, transparente, echte Schritte, die von Anfang an gemeinsam gegangen werden und bei denen ein Erfolg sichtbar wird, führen zu echten Veränderungen.

Es sind Leichen im Keller. Garantiert. (Ralph)

Lilly fragt irgendwann mal: “Wo ist das Häufchen, Robin?” Eventuell findet ihr im Keller eurer Organisation (oder eures Teams) keine besoffenen Morddrohungen auf irgendeiner Mailbox.

Aber seid gewappnet dafür, dass Menschen, je länger sie miteinander (oder gegeneinander) arbeiten, irgendwo mal Mist gebaut haben, egal ob einzeln oder gemeinsam.

Das können zeilenweise Workaround- oder Quick-Fix-Codestellen sein oder Elefanten so groß, dass sich der Boden im Erdgeschoss schön wölbt. Du erkennst die Häufchen leicht daran, dass Menschen liebend gern um sie herumtanzen und ihr lass mal auf den Tisch starren oder gleich das Thema wechseln Ritual durchführen. Oftmals werden sie auch als “politisch schwierig” oder “das habe ich doch vor 4 Jahren schon einmal leise in meiner Komfortzone gesagt” gelabelt. Verwechselt die Häufchen aber nicht mit dem Ballast, den Menschen mit sich herumtragen müssen. An dieser Stelle stoßen einfache Wahrheiten vielleicht auch an ihre Grenzen.

Epilog: Schwierige Wahrheiten

Unsere einfachen Wahrheiten sollen euch ein bisschen Orientierung mit auf den Weg geben. Um sie anzugehen benötigt es im Normalfall einfach etwas Mut und eine gute Moderation über einige Zeit. Vergesst dabei nicht, dass ihr durch das Offenlegen dieser einfachen Wahrheiten plötzlich die Möglichkeit habt, einige tieferliegende Themen aufzuspüren und vielleicht sogar zu behandeln. Die Realität zeigt, dass einfache Wahrheiten oftmals schwer zu begreifen sind. Eine Verschwörungstheorie klingt anfangs einfach schlüssiger, aber auch nur, weil Fakten durch Annahmen und Interpretationen ersetzt werden. Verliert euch darin nicht. Manchmal ist die einfache Wahrheit hinter den Aluhüten und Echsenmenschen versteckt.

Disclaimer: Je mehr Artikel wir schreiben, desto mehr verspüren wir, dass wir folgende Dinge klarstellen müssen: Es sind keine wissenschaftlichen Artikel, bei denen alle Annahmen auf Statistiken oder Quellen beruhen. Vieles von dem, was Erwähnung findet, stammt aus einschlägiger Fachliteratur, aber in erster Linie geht es bei diesen Artikeln um subjektive Meinungen, die sich aber aus den besten Lehren überhaupt zusammensetzen: Erfahrung und erlebte Realität.