Veröffentlicht am Mar 22, 2023 von
Ralph Cibis,
Punk seit 2016.
Ralphs Fokus liegt auf leadership & purpose.
Vor 1-2 Wochen bin ich auf das reingefallen, von dem ich gerne predige, dass alle darauf achten sollten. Hanlon’s Razor, also „erkläre nicht mit Bosheit, was du auch mit Dummheit (ich sag lieber Unwissenheit) erklären kannst.“ Eine Kollegin hat eine Email an einen unserer Product Owner geschickt und mich auf CC. Inhalt egal, ging um ein Miniprojekt. Aus irgendeinem Grund verfiel ich der Annahme, dass sie das CC-ing nutzte, um mit mir als Führungskraft dem ganzen etwas mehr Druck zu verleihen. Vorbildlich wie ich bin, habe ich sie dann 1:1 kontaktiert und gefragt was das sollte. Und siehe da, es lag nicht an irgendeiner Böswilligkeit, an einem Nachdruck-verleihen. Es lag daran, dass sie einfach nicht wusste, ob der PO oder ich oder vielleicht jemand ganz anderes die richtigen Ansprechpartner:innen waren. Sie hatte nur gehofft, so würde es evtl. über einen Proxy die richtige Person erreichen.
Und da stand ich nun und hab mich selbst ertappt gefühlt - von mir selbst. Die Situation hat sich natürlich schnell aufgelöst, aber was bleibt ist ein Gedanke, der mich seitdem begleitet. Wie ist das mit der Perspektive? Nehme ich direkt nur eine ein, dann falle ich schnell irgendwelchen klassischen Denkfehlern und Biases zum Opfer. Setze ich mich hin und grüble über verschiedene Perspektiven, bevor ich handle, dann klingt das auch nicht sonderlich effizient. Wo ist also die Mitte?
Ein anderes Beispiel: unsere aktuelle Podcast-Folge beschäftigt sich mit dem Thema Echokammern. Die erste Story, meine, handelt von der Entwicklung der Agilität über die Jahre hinweg. Davon, wie sich in der Szene alle möglichen Trends zwischen Produktmanagementspezialist:innen und Feel-Good-Life-Coaches abzeichnen und wieso dadurch agile Arbeitsweisen alles und nichts bedeuten kann. In unserer zweiten Geschichte, erzählt von Dominic, beschäftigen wir uns mit LinkedIn und dem Phänomen, dass gefühlt alle Personen auf dieser Plattform sich mit Lebensweisheiten, künstlich aufgeblasenen Attention-Meinungen und dem nächsten Schneeballsystem äh... Startup brüsten möchten.
Und beide Geschichten haben Substanz, sie erzählen von Beobachtungen, die du, ich, andere in dieser Branche oder auf dieser Plattform auch erleben würden. Aber sie nehmen natürlich nur eine Perspektive ein. Die, die wir im Podcast als die passende für unsere Zielgruppe erachten, bzw. da wir uns wenig mit Zielgruppenanalyse beschäftigen, die Leute, von denen wir denken, dass sie das, was wir erzählen, hören möchten. So far, so good - ich hab die Episode auf LinkedIn ja selbst als „unsere Echokammer“ beworben. Aber das Feedback von einem Freund hat mich wieder zurück auf den oben beschriebenen Pfad gebracht: den der vielen Perspektiven und der Frage, wann wie viele denn nötig sind.
Ich weiß jetzt schon, dass am Ende irgendein „it depends“ stehen könnte. Aber irgendwie ist das nicht genug. Blicken wir als drittes Beispiel etwas abstrakter in die Welt der agil arbeitenden Teams, der Teams, die sich z.B. kulturell mit Themen wie dem Westrum Kulturmodell befassen. Diese Teams arbeiten cross-funktional, manchmal sagen wir interdisziplinär dazu. Studien liefern Ergebnisse, dass ein hoher Grad an Diversität in Teams, egal ob kulturell, in der Verteilung der Geschlechter oder im Hinblick auf Alter, zu besseren Ergebnissen und Produkten führt. Entsprechend scheinen hier viele Perspektiven nicht zur Ohnmacht zu führen.
Das liegt sicherlich daran, dass nicht alle Personen die Perspektive aller beteiligten ständig einnehmen müssen. Sie müssen lediglich verstehen, dass ihre Teammitglieder auf das gemeinsame Ziel aus einem anderen Winkel blicken und entsprechend ein anderes Teilbild dessen sehen, was am Ende als erreichter Erfolg präsentiert werden kann.
Läuft es am Ende wirklich auf Transparenz und Kommunikation raus? Ich seh diese zwei Stickies, wie in einem klassischen Kriegsfilm-Trauma-Flashback vor meinen Augen an der Wand kleben. Reicht es, wenn Menschen von vorneherein ihre Perspektive mitteilen?
Hätte ich anders auf die Kollegin im obigen Beispiel reagiert, wenn die gesendete Email direkt ihre Unwissenheit beinhaltet hätte? Wahrscheinlich ja.
Wäre das Feedback zu unserer Podcast-Folge anders ausgefallen, wenn wir von Anfang an erzählt hätten, an wen wir uns richten? Wahrscheinlich ja.
Funktionieren diverse Teams im agilen Kontext gut, weil sie Formate und Werkzeuge an der Hand haben, um verschiedene Perspektiven zum richtigen Zeitpunkt zu betrachten? Wahrscheinlich ja.
Was nehmen wir also mit? Ein wichtiger Teil der eigenen Kommunikation sollte die Beschreibung der eigenen Perspektive sein. Und wenn wir auf Personen stoßen, die sie uns noch nicht mitgeteilt haben: es kostet nichts danach zu fragen, anstatt direkt Böses zu vermuten. Ich gehe davon aus, dass das etwas ist, das immer und immer wieder trainiert werden muss. Es ist nichts alltägliches, aber würde uns helfen, wenn es das wäre. Eine Welt, in der wir andere erst fragen „hey, aus welchem Blickwinkel betrachtest du das gerade?“ haben wir eine Chance mehr, von einander zu lernen bevor wir miteinander streiten. Einen Versuch ist’s wert.
Man kann nicht immer nur zur Seite rausschauen. Man braucht auch mal die Perspektive aus dem Cockpit.