Dann geht die Welt halt mal unter

Titelbild des Blogartikels Dann geht die Welt halt mal unter

Veröffentlicht am May 31, 2022 von
Dominic Burucker, Punk seit 2018.
Dominics Fokus liegt auf agent of change & servant leader.


Dann geht die Welt halt mal unter

Dauerkrise

Ukraine. Putin. Corona. Pandemie. Strom. Gas. Knappheit. Trump. Biden. Inflation. Waffen.

Na, wer spürt schon diese Beklommenheit im Magen, wenn man die paar Schlagwörter liest? Wer hat das Gefühl zu allem schon viel zu viel gehört und gesagt zu haben? Und wem geht es wie mir, wenn man das Gefühl hat, all diese Dinge schwirren irgendwie 24/7 um einen herum, wie nervige Fruchtfliegen die jeden Sommer einfach existieren, SELBST WENN MAN KEIN GEMÜSE MEHR AUSSEN LIEGEN HAT?

Sorry - da überkam mich dann die Wut. Apropos starke Emotionen. Während Corona - es ist ja jetzt vorbei haha - ging oft der Begriff der kollektiven Depression um. Und tatsächlich glaube ich, jeder von uns war down. Keiner Wunder, waren wir doch alle „endlich“ mal von einer Sache betroffen, die in den Medien auch als Katastrophe rauf und runter beschworen wurde. Irgendwann aber waren wir vor allem davon betroffen, dass wir die Schnauze davon voll hatten. Keiner wollte mehr darüber reden, keiner mehr etwas hören. Es hat uns alle Mürbe gemacht. Corona hatte sein Rampenlicht und es hätte dann auch ruhig wieder gehen dürfen nach so... ein paar Wochen eben, wenn normalerweise eine neue Krise her muss.

Dann: Die Ukraine. Boah, muss das jetzt sein? Ernsthaft nach Corona, Alter? Kann man nicht wenigstens ein Jahr mal abschalten und den Sommer durchsaufen? Nein, der lustige kleine Mann im Kreml hatte einfach Bock einen drauf zu setzen. Und auf die Corona-Müdigkeit folgte der Kriegsschock. Aber auch nur solang bis klar war: Gut die Bomben fallen, aber nicht vor meiner Haustür. Aber irgendwie knabbert's doch an einem, oder? So... immer ein bisschen - ja da so direkt hinter der Schädeldecke. Beim „aus Versehen“ die Nachrichten kurz lesen, zum 5-6 mal heute, weil Arbeit grad langweilig ist. Und schon wieder mehr Geld für alles ausgeben? UND SENF WIRD KNAPP? Schnell zum Netto bevor die Prepper da waren...

Trump tanzt auf einer NRA Veranstaltung nach dem gefühlt tausendsten Massaker in den USA dieses Jahr? Wie viele tote Kinder?

Ich weiß nicht wie's euch geht, aber ich hab die Schnauze voll. Dann geht die Welt eben unter. Bitte.

Ich jedenfalls lass mich jetzt davon jeden Tag aufs neue überraschen und werde nicht mehr versuchen zu erraten, wann's soweit ist. Denn seit wir Menschen existieren, ist die Welt schon ein paar mal untergegangen. Und irgendwie eben auch nicht.

Du hilfst so niemanden

Jap. Du hilfst keiner Menschenseele durch noch einen Smalltalk über die Ukraine oder Corona. There it is. Ich habs gesagt. Kreuzigt mich. Dein Kommentar auf LinkedIn ist nutzlos. Du hast selber keine Lust mehr Smalltalk-Zeit damit zu füllen. Du bist kein Experte. Du verstehst das nicht.

Deine heiße Luft bringt nichts. Sie bringt ja nicht mal was, wenn Experten auf irgendeinem x-beliebigen Sender darüber sinnieren, was sein könnte, was möglich wäre, was Putin denken könnte.

Also, Machtlosigkeit. Ja, die Machtlosigkeit macht uns wütend und wir denken, wenn wir nur oft genug Dampf ablassen, haben wir unsere Pflicht getan. Dann fühlen wir uns gut. Aber irgendwie auch nicht oder. Wie so'n Junkie der sich kurz was reinzieht aber dann ist's auch schnell wieder rum.

„Domi, irgendwie drehen wir uns im Kreis mit dem Zeug oder?“ meinte Ralph bei einem unserer wöchentlichen Spaziergänge letztens und er hatte sowas von recht. Der Autopilot schleicht sich irgendwann wie ein Parasit ein und ohne, dass man es merkt, geht es immer wieder um's selbe, wehleidige, ermüdende Zeugs.

Schluss jetzt! Tatsächlich können wir verdammt wenig tun, und dann nutzen wir gerne unser „Expertentum“ und unsere wichtige, heilige Meinung, um uns selbst vor dem wenigen Praktischen zu drücken, das wir machen könnten.

Also: Hilf, spende was, geh wo hin und verteil Sachen und tu dir sonst selbst den Gefallen und lass das Thema bleiben. Außer du gehst in die Politik. Ja wirklich, da ist kein aber, es ist genauso einfach wies hier steht.

Denn sonst macht es auch dich zu einer schlechteren Existenz. Wer nichts anderes als das Ende der Welt zu verkünden hat und, dass alles scheiße ist: Welt scheiße, Deutschland scheiße, Spritpreise scheiße, Essen scheiße - der hat mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit einen beschissenen Tag. Und eine Ansammlung motzender Menschen hat noch niemanden glücklicher gemacht. Ja, der geht an euch Querschwurbler.

„Wer nur schlechtes zu sagen hat, sollte lieber schweigen,“ sagt der Wandspruch von Jennie, 14, aus dem Jahre 2010.

Nein, Jennie, aber wer keine Lösung dazu hat oder sich im Kreis dreht oder nur mault, um irgednwas zu sagen, der sollte schon eventuell lieber den Mund halten.

Cool, und was hat das mit Arbeit zu tun?

Ein Psychotherapeut meinte letztens zu mir, dass die Eindrücke, die ein menschliches Hirn wohl innerhalb einer Woche im Mittelalter verarbeitet hat, momentan teilweise in einer viertel Stunde auf uns einprasseln. Und zwar dauerhaft. Unser Gehirn findet so nicht mehr zu Ruhe. Wir müssen manchmal abschalten. Wir müssen sacken lassen und auch zulassen, dass die Dinge sich nicht von uns ändern lassen.

„Stell dir vor du räumst dein Zimmer auf und ständig kommt jemand, stellt sich in die Tür und wirft neue Sachen rein. Viele davon gehören dir nicht. Du drehst irgendwann durch.“

Es verhält sich nicht unähnlich mit moderner Arbeit. Viel von der simplen und komplizierten Arbeit wird nach und nach automatisiert werden - die Nachfrage nach Menschen, die komplexe Arbeit verrichten, steigt enorm. Komplexe Arbeit wird mittlerweile in der IT von interdisziplinären Teams gelöst. Mehr Menschen bedeutet mehr Komplexität. Mehr Medien bedeuten mehr Komplexität. Mehr Technologie bedeutet mehr Komplexität. Eine vernetzte Welt bedeutet mehr Komplexität.

Nicht falsch verstehen: Früher war nichts besser. Ich war gerade in Italien in einem Foltermuseum - wir sind sehr weit gekommen, Gott sei Dank. Es ist besser aber es ist nicht einfacher.

Denn es muss wieder etwas in den Köpfen greifen, ein Mindset, wenn man so will, dass für den Menschen sehr schwierig und unintuitiv ist: Unsicherheit ist ok.

Wie Bitte?

Ja, wir müssen damit leben lernen, dass wir (zunächst) vielleicht viel weniger wissen können, als wir gerne wollen. Dass wir viel mehr ausprobieren und versagen müssen. Dass der Nebel dicker ist, als wir uns eingestehen möchten und dass es ok ist, dass wir kleine Schritte nach vorne gehen, anstatt große Sprünge in den Abgrund zu machen.

Auch die agile Welt ist dermaßen komplex, dass man sich ohne große Mühe aus Zertifikaten locker so einen nordkoreanischen Generalsanzug bauen kann (die mit den tausenden von Abzeichen). Scrum 4.3, hier neues Framework, da neue Methode.

Unsere größte Herausforderung ist es Komplexität zu reduzieren und sie dabei nicht mit anderer Komplexität zu ersetzen. Sondern Gelassenheit zu praktizieren und auf ein ganz simples, sehr altes und bewährtes Prinzip zu setzen: die wissenschaftliche Methode. Ja, hat sich die Uni doch gelohnt.

Hypothese in den Raum werfen - Hypothese testen - Ergebnis bewerten. Rinse and repeat. Das ist eigentlich im Grunde genommen der ganze Zauber wie man zumindest komplexer Arbeit Herr wird. Wir testen das gerade mit unserem Team bei Thomann.

Das alles geht aber nur, wenn wir etwas ganz anderes wichtiges dabei tun: Gelassen bleiben. Keine Katastrophe in einem Projekt (bis auf die extremsten Fälle) lässt die Welt untergehen. Aufgescheuchte Hühner sind chaotisch. Chaos hat in Notsituationen noch niemandem geholfen. Angst auch nicht. Gute Wissenschaft braucht Zeit und auch ein gutes Produkt braucht gute Daten - die zu messen braucht auch Zeit. Und die Idee, dass Zeit knapp ist, ist hausgemacht. Sie ist genauso knapp wie wir wollen. Die Menschheit hat in so „kurzer Zeit“ noch nie so viel geschafft wie in unserer Epoche.

Die Welt dreht sich zu schnell.

Fokussiert euch auf die wenigen aber wichtigen Aspekte eurer Arbeit. Lasst den Rest ruhig mal vor der Zimmertür. Akzeptiert, dass ihr nicht alles wisst, dass ihr jeden Tag lernt. Bleibt mitfühlend und unterstützt euch gegenseitig. Hebt nicht den Zeigefinger oder nutzt ihn, um auf irgendwen zu zeigen. Gebt euer Bestes. Das ist immer nur das, was ihr gerade geben könnt. Nehmt euch die Zeit.

Die Welt wird noch ein paar mal untergehen. Aber nicht heute und wahrscheinlich nicht morgen. Also genießt den Tag.

Hakuna Matata.

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Hakuna Matata. Bild von Faye Cornish auf Unsplash.