Brecht keine Regeln. Schafft sie ab.

Titelbild des Blogartikels Brecht keine Regeln. Schafft sie ab.

Veröffentlicht am Aug 27, 2022 von
Ralph Cibis, Punk seit 2016.
Ralphs Fokus liegt auf leadership & purpose.


Brecht keine Regeln. Schafft sie ab.

So oder so ähnlich steht der Titel schon seit einiger Zeit auf meiner ToDo-Liste. Aber in einer Ära, in der der Wohlstand und das Sommerloch dann doch groß genug sind, dass sich über eine der kompetentesten Regierungschefinnen in Europa das Maul zerrisen werden kann, weil... ja warum? Weil man mit Freunden Party macht? Come on... das hinkt und man vergisst hier oft sich an die eigene Nase zwischen Cum-Ex-Skandal und Gaspreiserhöhungen für gewinnmaximierende Unternehmen bzw. deren Rettung zu fassen. Übrigens herrscht auch immer noch Krieg im Osten Europas. Just saying.

Aber genug Tirade. Die Geschichte um Sanna Marin ist ein gutes Beispiel für anscheinend ungeschriebene oder implizit angenommene Regeln, die wohl irgendwo im Kopf von (Achtung, Vermutung hier zwinker zwinker) älteren Männern, die ihr Kreuz gerne für Söder und Co setzen, existieren. Ich komm später nochmal drauf zurück, warum das uncool ist.

Der Stand der Digitalisierung

In unserem Blog geht’s ja doch immer drum, die Brücke zum Thema agile Arbeit zu schlagen. Agile Teams arbeiten natürlich am besten zusammen, wenn die Infrastruktur stimmt. Denn auf dieser Infrastruktur (z.B. Kommunikationstools, CI-Pipelines, etc.) können sie geile Software schreiben, von der Menschen weltweit profitieren können. Aber wie gut kann ein Team arbeiten, wenn irgendwelche veralteten Gesetze, Regelungen oder (Neudeutsch, New Work Slang) Leitplanken verhindern, dass die Arbeit optimal durchgeführt werden kann?

Klar, in manchen Bereichen, die nicht schwerfällig und zusätzlich wenig reguliert sind, kann einfache Abhilfe durch interdisziplinäre Teams geschaffen werden. Wo end-to-end möglich ist, können nice Produkte entstehen. Ich erinnere mich da aber auch gerne an meine Zeit in einer Versicherung zurück, wo für neue Server und auch diverse Zugriffsrechte einfach händisch Formulare auf Papier ausgefüllt werden mussten, die dann über verschiedene Stage-Gates in Richtung Operations, sorry, in Richtung IT Betrieb getragen wurden. Alleine, um den Satz zu lesen, brauch ich länger, als in einer Cloudinfrastruktur paar Maschinen hochzuziehen.

Und ich beschuldige nicht mal die Firma, sondern die Regularien dahinter. Das sind bestimmt Prozesse, die von der BaFin diktiert wurden. Und ja, Regulierung ist sicherlich gut, wenn’s um die kleinste Violine der Welt geht. Wir spielen sie ja alle gerne. Aber auf der anderen Seite sind dann Unternehmen wie Wirecard wohl zu komplex, zu schnell und zu digital, um dort eingreifen zu können.

Das bleibt hier alles so wie das hier ist!

Ich hab die Tage ein Video zu einem wunderschönen Bias angeschaut, dass die Digitalisierung in Deutschland supergut beschreibt. Könnte von der heute Show gewesen sein. Und wenn schon die Boomer-Comedy-Show vom ZDF darüber berichtet... ja, dann ist die Kacke am Dampfen. Es ging um den Status Quo Bias. Dieser beschreibt, dass in der deutschen Mentalität gerne alles daran gelegt wird, dass Dinge so bleiben, wie sie schon immer waren. Das merkt man auch gut in der Gesetzgebung. Anstatt Regelungen zu hinterfragen werden tonnenweise Erweiterungen und Ausnahmen definiert. Wahrscheinlich ist das beste Beispiel das allseits bekannte und geliebte Steuerrecht, das bei uns so komplex ist wie nirgends sonst auf der Welt.

Es ist auch kein Einzelfall, sondern eigentlich Gang und Gäbe, dass agile Coaches in deutschen Unternehmen immer wieder auf den typischen „das haben wir schon immer so gemacht“ Satz als Antwort auf innovative Initiativen stoßen. Es fehlt an Flexibilität und vor allem am Wunsch etwas zu ändern. Wir leben im Speckgürtel der Welt und verbrauchen alleine die Ressourcen von mehreren Erden pro Jahr. Wenn der Werner seine 4 Nackensteaks auf den Holzkohlegrill schmeißt, dann will er das halt auch noch die nächsten 15 Jahre so machen - oder bis ihn halt der Herzinfarkt vorher zurechtweist. Als gäbe es auch hier ein ungeschriebenes Gesetz, das besagt, dass der deutsche Mann sein Schweinefleisch braucht. Am besten intravenös.

Wir sind alle ein bisschen Nackensteak

Und das ist vielleicht nicht die Metapher nach der ihr gefragt habt, aber es ist die Metapher die ihr braucht, damit ich diesen Part abschließen kann: Die 4 Nackensteaks auf dem Holzkohlegrill stehen stellvertretend für alle Prozesse und altbackenen Regeln, die irgendwann mal niedergeschrieben oder implizit gelebt wurden. Es ist nicht nachhaltig. Nicht für die Erde, aber auch nicht für unseren Wohlstand und unsere Unternehmen. Ich kann Carsten Maschmeyer und Frank Thelen nicht leiden, aber ich stimme ihnen zu, wenn sie immer wieder mehr Mut und mehr Risiko fordern. Der Status Quo und die Besessenheit oder einfach der Komfort ihn beizubehalten, wird uns auf die Füße fallen. Uns, den Dichtenden, den Denkenden.

Es wird uns auf die Füße fallen, wenn wir weiterhin alten Männern die Führung unserer Regierung anvertrauen. Personen, die den Großteil ihres Lebens hinter sich haben. Mit Erfahrungen aus der Vergangenheit konnte man früher sicherlich noch viel besser steuern. Aber die Welt wird schnelllebiger und es braucht mindestens eine gleichmäßige Verteilung zwischen Generationen in der Politik, um Regeln in Frage zu stellen und zukunftsfähige Entscheidungen zu treffen. Es reicht nicht nur ein Finger in der Wunde von einer Opposition, die dann, falls ihre Wahlperiode kommt, einfach was ähnliches falsch macht. Es braucht eine Veränderung in der Grundeinstellung der Menschen.

Eine Welt

Ich würde so weit gehen und behaupten, wir brauchen nicht nur eine Frauenquote in Vorständen. Es braucht eine Generationenquote und zwar überall in unserer Gesellschaft. Nachhaltigkeit und Innovation können sonst nicht konsequent verfolgt werden. Es braucht den Mut, die Gesetze und die Regeln der Vergangenheit in Frage zu stellen und zu fragen, ob diese überhaupt noch benötigt werden. Und dann noch mehr Mut zu sagen, „wir streichen mal 5 Paragraphen,“ anstatt random Ergänzungen für Spezialfälle hinzuzufügen.

Wir haben vor Kurzem unser Employee Handbook von thomann.io öffentlich gemacht. Der Gedanke dahinter ist: wenn wir uns nicht trauen unsere Regeln nach außen aufzuzeigen, dann sind es höchstwahrscheinlich Scheißregeln (excuse my language). Und das hilft. Klassischer agiler Ansatz. Wir können für uns überprüfen, womit wir uns wohlfühl und bekommen zeitgleich auch Feedback von Bewerber:innen dazu, wie wir uns in unserer Organisation verhalten. Vielleicht sollten das mehr Unternehmen einführen. Vielleicht auch mal ein paar mehr deutsche Unternehmen. Ich selbst kenne das hauptsächlich aus der Big-Tech-Welt an der amerikanischen Pazifikküste. Und vielleicht hilft das dann auch, eine Lösung für nationale Gesetze, oder noch weiter gedacht, für internationale Zusammenarbeit und ein Gefühl einer Menschheit zu schaffen. Nur so kommen wir weiter. Ich selbst habe am Ende dieses Blogposts leider noch keine Lösung für all die Dinge, die wir sehr zeitnah angehen müssen. In Unternehmen, in unserer Gesellschaft, als eine Menschheit.

Nur eine Bitte: hinterfragt Regeln. Schafft sie ab, wo es für eine bessere Zukunft nötig ist. Geht von der Software-Perspektive ran. Convention over Configuration.

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Regeln brechen wie echte Panzerknacker. Beim Gokartfahren in Treppendorf.